Neuigkeiten 21.05.2021

Unterstützung der Aktion der Schüler*innen: Kollegium der EFG und GEW Herne

Die GEW Herne unterstützt die Schüler*innen-Aktion „Vergesst uns nicht“ und die begleitende Aktion des Kollegiums der EFG Herne „Wir stehen hinter Euch“.

Min.

Zunächst der Text des Kollegiums der Erich-Fried-Gesamtschule

EFG- Lehrer*innen- Aktion „WIR STEHEN HINTER EUCH!“
Fragt man derzeit die Schüler und Schülerinnen nach ihrem Wohlergehen, hört man von den meisten, dass sie unter Antriebslosigkeit, Erschöpfung, Niedergeschlagenheit, Zukunftsängsten, Überforderung und Resignation leiden. Sorgen über die Situation auf dem Ausbildungsmarkt, die Ungewissheit über den Verlauf des nächsten Schuljahres, die Unsicherheit, ob die Lernrückstände aufzuholen sind – das sind die Fragen, die insbesondere die älteren Jugendlichen zurzeit bewegen und beunruhigen. Zusätzlich werden die jungen Menschen dadurch belastet, dass sie auf das verzichten müssen, was Erziehungswissenschaftler und Erziehungswissenschaftlerinnen gemeinhin als unabdingbar für eine gesunde psychosoziale Identitätsentwicklung halten: Auf den Kontakt zu Gleichaltrigen in größeren Gruppen, z.B. in Schule, Vereinen, in der Clique.
Durch den Beschluss der Bundesregierung, für vollständig Geimpfte und Genesene die Kontaktbeschränkungen zu lockern und die Quarantänepflicht bei der Reiserückkehr weitestgehend aufzuheben, kommen bei den Jugendlichen Wut und Enttäuschung dazu. Sie haben den Eindruck, dass sie sich seit über einem Jahr extrem einschränken, v.a. um die Risikogruppen zu schützen – also genau die Menschen, die jetzt schon komplett geimpft sind und die nun die Möglichkeit haben, genau das Leben zu führen, nach dem wir uns alle sehnen und das v.a. die Jugendlichen am meisten brauchen. Diese Ungerechtigkeit macht sie umso wütender vor dem Hintergrund, dass sie momentan noch kein Impfangebot bekommen haben und auch noch nicht geklärt ist, wann sie geimpft werden. Sie fühlen sich von der Politik und auch von der Berichterstattung übersehen und unbeachtet, weil in ihren Augen sowohl der Beitrag der Jugendlichen an der Eindämmung der Pandemie als auch ihre Bedürfnisse viel zu wenig thematisiert und berücksichtigt würden. Wie wird sich eine Generation zu einem Staat stellen, von dem sie sich in dieser Weise vernachlässigt fühlt, der in ihren Augen das Solidaritätsprinzip nur in eine Richtung anwendet und dem die Generationengerechtigkeit kein Anliegen zu sein scheint?
Ihren Unmut hat die SV der Erich-Fried-Gesamtschule in einem Forderungskatalog, der auf der *Homepage veröffentlicht wurde, zum Ausdruck gebracht.
Kolleg*innen der Erich-Fried-Gesamtschule unterstützen die Kinder und Jugendlichen mit einer symbolischen, wortwörtlichen Solidaritätsaktion - „Wir stehen hinter euch!“.
Kolleg*innen der Erich- Fried-Gesamtschule Herne

*Homepage der EFG

GEW-Herne unterstützt die Schüler*innen- Aktion „Vergesst uns nicht“ und die begleitende „Wir stehen hinter Euch“- Aktion der Kolleg*innen der EFG- Herne !
Wer derzeit in Kontakt mit Schülerinnen und Schülern ist, kommt nicht umhin, mit dramatischen Emotionen konfrontiert zu werden. Die Kinder und Jugendlichen berichten von akuter Traurigkeit, Verzweifelung, Hoffnungslosigkeit, Müdigkeit bis hin zu Burnouts, fehlenden Perspektiven und einem zutiefst wahrgenommenen Gefühl von „ja sieht uns denn eigentlich gar niemand?“ oder „sind wir allen wirklich so egal“?
Jetzt haben sich einige Schüler*innen der Erich- Fried- Gesamtschule aufgemacht, ihre Gedanken und Emotionen, ihre Erschütterungen, aber auch ihre Erwartungen an uns alle als Gesellschaft zu formulieren - sie lassen sich zusammenfassen unter der Überschrift „Vergesst uns nicht!“ – und treffen das, was zahlreiche Pädagog*innen seit bereits sehr langer Zeit wieder und wieder formulieren: Dass Gefühl, dass Kinder und Jugendliche entweder gar nicht oder nur mit einer sehr eingeschränkten Perspektive von der Politik und der Erwachsenengesellschaft in den Blick genommen werden. Einige der Kolleg*innen der EFG setzen nun ein Signal mit ihrem demonstrativen Zeichen der Unterstützung und zeigen ihren Schüler*innen und ganz Herne „Wir stehen hinter Euch!“
Die GEW unterstützt beide Aktionen, greift Gedanken auf und weitet den Blick.
Nicht neu – aber im Brennglas der Pandemie dramatischer und fataler denn je
Während seit Beginn der Pandemie im Fokus aller Akteure stand, in einem Kraftakt sondergleichen die zunächst Schwächsten der Gesellschaft – nämlich die Ältesten – vor einem Virus zu schützen und gleichzeitig die Wirtschaft zu retten, wurden auf der anderen Seite die in anderer Ausprägung Schwächsten – nämlich Kinder und Jugendliche - schlicht vergessen oder in ihren Bedürfnissen und  Bedarfen nicht beachtet. Parallel dazu und immer vehementer warnt die Wissenschaft, dass zurzeit ca. ein Drittel der Kinder und Jugendlichen mit psychischen und psychosomatischen Auffälligkeiten kämpft. Betroffen seien vor allem Kinder aus sozial schwächeren Familien und einmal mehr werden hier Kinder sorgenvoll genannt, deren Eltern einen niedrigen Bildungsabschluss beziehungsweise einen Migrationshintergrund haben. Die COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) weist beispielhaft darauf hin, dass „die Herausforderungen der Pandemie und die damit im sozialen Leben einhergehenden Veränderungen die Lebensqualität und das psychische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen verringern und das Risiko für psychische Auffälligkeiten erhöhen“ (http://www.uke.de/copsy). Festgestellt wurden z.B. Auffälligkeiten wie Hyperaktivität, emotionale Probleme und Verhaltensprobleme sowie psychosomatische Beschwerden.
Beispiele für das Vergessen der Kinder und Jugendlichen
Fragt man die Kinder und Jugendlichen, woher ihr Gefühl rührt, dass sie sich „vergessen fühlen“, berichten Sie ganz lebensweltlich z.B. davon, dass jetzt so ganz Viele geimpft seien und es für diese Personen Erleichterungen gäbe, während für sie nicht einmal über einen Impfstoff nachgedacht würde. Werden diesen Sommer viele Ältere wieder in Urlaub fahren können, Freunde treffen, einen Kaffee trinken in Gesellschaft – während sie als Kinder und Jugendliche weiterhin nach wie vor Einschränkungen erfahren werden? Meist können es die Kinder und Jugendlichen nicht so ausgereift formulieren, aber sie spüren sehr wohl weitere Gegebenheiten und Setzungen ihrer Umwelt, die ihnen das Gefühl geben, nicht wirklich wichtig zu sein – es sei denn als zukünftige Leistungsträger im ökonomischen Sinne:
An wen denken wohl alle möglichen Vertreter*innen aus der Politik, wenn sie seit Monaten schon davon sprechen, dass man im Laufe des nächsten halben Jahres „ALLEN ein Impfangebot“ machen könne, wenn bis heute kein einziger Impfstoff für Kinder zugelassen ist – und Impulse dazu aus der Wirtschaft heraus kamen, NICHT aus der Politik. Nahezu jeder die Schulen betreffende Schritt aus dem MSB hatte zuvorderst die Durchführung von Prüfungen zum Ziel – und nannte dies dann „Bildungsgerechtigkeit“. Während bis heute weder bundes- noch landesweit eine Strategie zum Umgang mit Corona für Kinder und Jugendliche bzw. an Schulen zu erkennen ist, hätte es ca. 17% des ersten Hilfpaketes für die Lufthansa gekostet, bundesweit Klassenräume mit Luftfiltern auszustatten. Freimütig bekannte Ministerin Gebauer im August 2020 sich dazu, dass sie von den Geräten viel halte, aber die Anschaffung für alle Klassenzimmer „Unsummen verschlingen" würde – was so viel bedeutete, dass dies einfach zu teuer sei. Wie gesagt, kein neues Phänomen – wer an vielen Schulen in NRW einmal die Schüler*innentoiletten aufsucht, bekommt unverholen einen unappetitlichen Eindruck davon, was wir als Gesellschaft tagtäglich wortlos unseren Kindern und Jugendlichen zeigen, wie wichtig sie uns sind.
Jetzt, so mag man entgegen halten, sind doch riesige Summen angekündigt für Schulen und Kinder und Jugendliche. Bei genauerer Betrachtung verfestigt sich aber eher das bisher skizzierte Bild: Gelder fließen einerseits für digitale Ausstattung und andererseits für das erklärte Ziel, „Wissenrückstände aufzuholen“. Während also die Kinder und im Nachgang dazu auch Psychologen und unzählige Studien davon berichten, dass massive Wunden im psychosozialen und emotionalen Bereich bei Kindern und Jugendlichen vorhanden sind, weil sie in ihrer für ihre Meschwerdung und Entwicklung bedeutendsten Lebensphase auf soziale Kontakte, auf Leichtigkeit, Freiheiten, Abgleich mit anderen Menschen und vielem mehr verzichten müssen, geht es dem MSB und vielen Teilen der Politik um das „Aufholen nach Corona“ (so z.B. der Titel eines 2 Mrd. € schweren Programms des Bundes) und damit um das Schließen von „Lernrückständen“. Bildlich gesprochen liegt dem eine Vorstellung eines leeren Kind-Gefäßes zugrunde, in das „normalerweise“ Lerninhalte eingetröpfelt werden – und weil dies jetzt 1,5 Jahre lang nicht so gut ging, ist es eben schneller nachzuholen, beginnend in den Ferien. Während jedem Fußballfan völlig selbstverständlich klar ist, dass selbst Hochleistungsprofis nur Leistung abliefern können, wenn „mental alles in Ordnung ist“, spielt das „mentale Setting“ unserer Kindern offensichtlich keine Rolle.
Wo, so fragen wir, finden sich Ansätze, die es unseren Kindern und Jugendlichen überhaupt erst ermöglichen, psychosozial und emotional den Halt zu haben, das Fundament, die Selbstkompetenzen, das Zutrauen, den Mut, die Zuversicht und Hoffnung, das Wohlbefinden, auf deren Fundament „Leistung“ überhaupt erst möglich ist? Wo finden sich Ansätze sicherer Kontaktgestaltung, wo können sich Kinder ausprobieren, in Kontakt treten mit gelebten und erfahrbaren Werten und Normen, mit der Zusage „Du bist wichtig und wertvoll und gut und Du kannst so so Vieles“, wo sind die Lebens- und Alltagsprojekte weit jenseits von Leistungsüberprüfungen durch Klausuren und Prüfungen, wo ist das Leben, das unsere Kinder befähigt zu leben – demokratisch, sozial, mündig, selbstbestimmt, glücklich?
Das alles ist nicht neu – aber es wird sichtbarer denn je, wie fatal ist, was wir mit unseren Kindern und Jugendlichen vor allem schulisch tun oder gerade eben auch nicht tun. Und es ist notwendiger und dringender als je, dies zu ändern!

GEW Stadtverband Herne

Beide Texte stehen als download zur Verfügung (s.u.)