Seit 2 Jahren schon erreichen uns als GEW Herne zahlreiche Anfragen und Berichte von Kolleg*innen aus Schulen. Eigentlich über die gesamte Phase der Pandemie waren diese Anfragen und Berichte gefüllt mit Fassungslosigkeit, Entsetzen und Wut – vor allem über die Vorgaben des MSB und der Ministerin.
Anlass für uns, zur gegenwärtigen Situation vor Ort eine ganz aktuelle Sammlung kleinerer Berichte zu veröffentlichen. Sie alle stammen aus den Tagen 25. und 26.11.2021. – und sie alle lassen erahnen, wie dramatisch die Lage ist und wie fatal die Setzungen aus der Politik sind und wie sie von betroffenen Kolleg*innen wahrgenommen werden.
Vielen Dank allen Kolleginnen und Kollegen, die uns aus ihrem Schulalltag berichtet haben!
Berichte aus Grundschulen
I) Beispiele meines Alltags:
1. Schwimmunterricht:
Während die Zahlen steigen, steigen unsere Kinder puppenlustig in einen “Schwimmbus” zum Südpool, der weniger Plätze als Personen bietet. Lehrkräfte stehen, manche Kinder sitzen zu Dritt auf einem Doppelsitz.
In der Schwimmstätte werden 3 Klassen eines Jahrgangs gemischt. Und die 20 Jungen und 20 Mädchen ziehen sich jeweils in einer recht engen Sammelumkleide um. Sie treffen in der Dusche auf ältere Kinder einer weiterführenden Schule, die zeitgleich Schwimmunterricht haben.
Während in der Schule möglichst eine Durchmischung der Kinder eines Jahrgangs vermieden wird und Sitzpläne geschrieben werden, wird beim Schwimmen völlig darauf verzichtet. Hier kann auch nicht nachgehalten werden, wer von wem Kontaktperson war.
2. Testung
Sobald ein Lollitest (2x in der Woche je Klasse) positiv ist, (das Ergebnis kommt meistens erst abends), muss die Lehrkraft die Eltern ihrer Klasse benachrichtigen: Die Eltern müssen dann am nächsten Morgen ein Einzel-Lollitest-Teströhrchen an der Schule abgeben. Die Kinder verbleiben bis zum Ergebnis dieses PCR-Tests zu Hause. Das Röhrchen muss etikettiert und beschriftet sein, die Eltern müssen sich mit einem Barcode registrieren. Nicht wenige Eltern unserer Grundschüler sind dazu nicht selbstständig in der Lage. Ohne diesen PCR-Test darf das Kind aber nicht wieder in die Schule, also geht das Gerenne für die Klassenlehrer*in los, indem er*sie Übersetzer*in und andere Hilfestellungen organisiert. Die Einzel-Testergebnisse werden unter Umständen erst um 22:30 Uhr durch das Labor mitgeteilt. Erst danach kann den Eltern mitgeteilt werden (falls sie das Ergebnis nicht selbst abrufen konnten), welche Kinder wieder zum Unterricht kommen dürfen. Unsere Arbeitszeit beträgt damit 24 Stunden an 7 Tagen.
Bei all dem komme ich mir vor wie eine Zweigstelle des Gesundheitsamtes.
In klaren Momenten frage ich mich, warum wir das eigentlich alle mitmachen?!
II) Die Lage bei uns
In der Grundschule besteht für Kinder am Platz während des Unterrichts und der Frühstückspause keine Maskenpflicht.
Gestern waren 13 PCR-Pools in Herne positiv. Stand jetzt heute Abend sind es schon wieder 10.
Polizisten dürfen bei der Verkehrserziehung nicht in Klassen gehen: Zu gefährlich! (da bestand noch Maskenpflicht)
Ins Schulamt darf nur 2G+ rein.
Die Schulamtsdirektorin der Stadt Herne macht Dienstbesprechungen nur noch online.
Wer sie persönlich sprechen möchte, braucht 2 Tests im Abstand von 24 Stunden.
Wir Lehrkräfte (zumindest geimpft) und die Kinder (ungeimpft) stehen an der vordersten Brandlinie.
Lehrkräfte und Kinder sind die Opfer der Landesregierung und der Ungeimpften!
III) Erfahrungsbericht von unserer Schule
Bei uns ist es nicht gerade entspannt, wenn ich ehrlich bin.
Es kommt immer wieder vor, dass mal Pools bei den Lollitests positiv sind, was sich dann in der Einzeltestung am darauffolgenden Tag als falsch herausstellt. Viele Lehrkräfte sind sehr verunsichert. Auch die Eltern werden langsam unruhig. Die Schüler*innen sind sehr unausgeglichen und viele haben sich verändert. Einige sind sehr still geworden, andere sehr unruhig bis aggressiv. Ja, werden einige sagen, das gab es schon immer. Stimmt! Aber jetzt ist es irgendwie anders.
Meine Kinder (3. Klasse) sind so verständnisvoll (einige haben auch mit ihren Eltern drüber gesprochen), dass fast alle die Maske außer in der Frühstückspause (mit weit aufgerissenen Fenstern sehr kalt) durchgängig ohne Murren tragen. In anderen Klassen sieht das aber anders aus.
Ich selber fühle mich seit heute etwas besser, da ich mir die Booster-Impfung habe geben lassen.
Von den Kindern ist natürlich noch keines geimpft.
Ganz schlimm stelle ich mir die Situation nach den Weihnachtsferien vor. Dann sollen wir jedes Kind testen für einen Sammelpool und dann noch einmal für eine Einzeltestung und das dann zweimal in der Woche. Die Röhrchen für die Einzeltestung müssen alle mit Codes versehen werden. Wer das macht???? Wissen wir noch nicht. Ich komme mir eh manchmal vor wie eine Medizinische Fachangestellte - wenn ich mit den Teströhrchen und Gummihandschuhen durch das Schulgebäude laufe. Mal abgesehen von der Zeit, die dabei drauf geht.
Insgesamt finde ich (aber auch fast alle anderen Kolleg*innen) die ganze Situation sehr belastend.
Ich werde mir jetzt auch privat eine CO2- Ampel anschaffen, um einen Überblick über die Luftqualität zu haben. Auf Anfrage in einer Dienstbesprechung, ob wir die nicht für alle Klassen anschaffen könnten, wurde mir gesagt, dass das nicht vorgesehen sei. Wir MÜSSEN ja sowieso alle 20 Minuten lüften - das sei schließlich eine Dienstanweisung des Ministeriums.
Im Übrigen sollen wir nur noch 2 statt 5 Minuten Stoßlüften. Die Stadt habe sich beschwert, dass die Heizkosten im letzten Winter so in die Höhe geschnellt seien. Zwei Minuten seien in diesem Winter ausreichend.
Ich habe inzwischen einen dicken Schal, einen dicken Mantel und warme Stiefel im Klassenraum deponiert. Die Kinder haben kleine Decken dabei und kuscheln sich darin während des Lüftens ein. Einige Kinder und auch ich waren in den letzten beiden Wochen erkältet. Ich darf gar nicht daran denken, wie es wieder wird, wenn draußen Minusgrade herrschen.
IV) Bericht von heute Morgen
Unsere Schule (eher ländlicher Raum) hat 2 Standorte. An der Dependance gibt es insgesamt 6 Klassen (1-4). In einer Klasse wurde heute Morgen ein positiver Pooltest bekannt. Aufgrund eigener Erkrankungen und/oder eigener Positivtests oder Quarantäneanordnungen konnten von den eigentlich mindestens 6 heute nur noch ZWEI Lehrer*innen vor Ort im Einsatz sein - mit dann ca. 200 Kindern und der Aufgabe, mit diesen "Unterricht" zu machen, aber gleichzeitig auch die weiteren Pooltests und Nachverfolgungen zu organisieren ... DAS ist Schule gerade sehr oft – und das ist Wahnsinn !
Berichte aus weiterführenden Schulen
I) Während Schulministerin Gebauer bei Schulbesuchen selbst mit Maske vor ausnahmslos masketragenden Schülerinnen und Schülern sitzt, ist diese Situation an meiner Schule eher eine große Ausnahme. In meinen Kursen tragen vor allem diejenigen keine Maske, die man schon die letzten 1,5 Jahre ständig an das korrekte Tragen der Maske erinnern musste. Einige bekamen das auch schriftlich....
Zudem sind viele der am Platz unmaskierten SuS (v.a. in der Oberstufe) ungeimpft.
Insgesamt habe ich kein gutes Gefühl, zumal jetzt auch wieder das "Bürokratiemonster" Sitzplan erforderlich ist, das war vor dem Wegfall der Maskenpflicht anders. An das ständige Testen hat man sich schon gewöhnt, wobei ich sagen muss, dass teilweise nur noch wenige SuS getestet werden müssen (maximal 6 von 25 in meinen Kursen, teilweise weniger), weil die Impfquote inzwischen recht hoch ist.
Es werden aber vermehrt freiwillig Tests von Geimpften durchgeführt, weil die Problematik der Impfdurchbrüche einigen durchaus bewusst ist und wir auch schon einen in der Stufe hatten.
Ich rechne fest damit, mich - trotz aller Vorsicht, ständigem FFP2-Maske-Tragen und Lüften - zu infizieren. Auch mein privat angeschafftes CO2-Messgerät ist da nur ein schwacher Trost, immerhin merke ich damit, wenn das Lüftungsintervall von 20 Minuten zu lang ist, weil die CO2-Konzentration zu stark ansteigt.
In einer Stufe der Älteren sind inzwischen von 77 SuS 61 geimpft, 2 genesen (die anderen 20 Genesenen haben diesen Status schon lange nicht mehr und sind inzwischen alle nachgeimpft), 7 haben die 1. Impfung oder einen Termin dafür – dagegen gibt es 7 Verweigerer. Nachdem ich es zunächst mit Sarkasmus versucht hatte und nicht weitergekommen bin, habe ich es mit Empathie versucht - so schwer mir das bei Impfgegnern auch fällt - und das hat in einigen Fällen zum Erfolg geführt. Da haperte es nur an mangelnden Infos oder Terminen. Einige sind dann einfach zum Impfbus gegangen, dessen Standorte ich regelmäßig poste.
Außerdem bin ich jetzt Spezialist im Impfpässe lesen (auch Masern auf Arabisch geht schon), weil ich dieses Schuljahr schon mehr Impfpässe als Klausuren in der Hand hatte.
II) Erfahrungsbericht, oder ist es ein Leidensbericht?
Tag x: in meiner Klasse gibt es einen positiven Fall und einen weiteren Verdachtsfall. Meine Klasse bleibt an Tag y aus Vorsicht zuhause. Der Verdachtsfall stellt sich als negativ heraus, puh! Die Klasse wird für den folgenden Tag z wieder bestellt.
Tag z: Meine Klasse hat wieder Präsenzunterricht. Der Schnelltest ergibt einen anderen (doppelt geimpften) Verdachtsfall, das geschockte Kind wird zum PCR Test von einem Erziehungsberechtigten abgeholt. Ich werde um 8:20 kontaktiert und telefoniere und texte in der nächsten Stunde mit der Co-Klassenlehrerperson und diversen Eltern. Wir fragen die noch 7 fehlenden Impfstatus ab, 3 Eltern antworten gar nicht. Die Schulleitung entscheidet, dass meine Klasse den Rest der Woche im Distanzunterricht verbringt. Nicht missverstehen! Diese Entscheidung ist richtig und wurde von der Schulleitung sehr verantwortlich getroffen, um die Kinder nicht noch mehr zu verunsichern, aber bizarr ist es schon. Ich habe diverse Beschwerden aufgrund eines zerrütteten Nervenkostüms und melde mich für den Tag von meiner Fachkonferenz ab, für die ich extra nochmal in die Schule gefahren wäre.
Bezüglich Maskentragen - oder eben auch nicht mehr. Schon immer war ich bezüglich der Aussage, Schulen seien „Bremsklötze der Pandemie“ eher skeptisch. Solange alle Schüler*innen Masken trugen, fühlte ich mich aber relativ sicher. Nun ist diese Behauptung ad absurdum geführt, denn es sitzen einige ungeimpfte Schüler ohne Maske vor mir, deren nicht 100% verlässlicher Schnelltest am Nachmittag des 2. Schultages über 31 Stunden alt ist. Auf die höfliche Bitte einer Kollegin, dass sich doch bitte die Schüler*innen ans Fenster setzen, die keine Maske mehr tragen wollen, fordern einige Schüler*innen, die bis zu dem Moment eine Maske trugen, die anderen auf, die Masken abzunehmen. Die Lehrperson könne schließlich "nicht alle ans Fenster setzen". Übermorgen soll ich eben diese Klasse in einer Doppelstunde unterrichten, es ist nicht sicher, ob ich das nervlich schaffe. In welchem anderen Beruf wird eigentlich erwartet, dass eine Person sich bis zu 30 anderen gegenübersieht, die obwohl 0G keine Maske mehr tragen müssen. Trügen wieder alle Schüler*innen eine Maske, hätte ich mehr Zuversicht, die Wochen bis zu den Ferien noch zu unterrichten und das erstens nicht infiziert und zweitens ohne unzumutbare nervliche Belastung.
III) Wie ich es sehe
Wenn sich in 2 Jahren Pandemiegeschehen in Schulen immer und immer wieder große Mengen an Menschen sehr nahe kommen, ohne dass alle möglichen Schutzmaßnahmen ausgeschöpft werden, wenn sich dabei zwangsläufig Infektionen vollziehen, wenn diese immer weiter „nach draußen“ getragen werden und dabei immer und immer wieder Empfehlungen von Fachleuten zum Schutz vor Infektionen nicht umgesetzt oder sogar aktiv von einer Ministerin verhindert werden (zuletzt die ausgesetzte Maskenpflicht an Schulen bei nachgewiesenen Unsicherheiten von Selbsttests), dann ist ein Teil der 289 bisher in Herne Verstorbenen eben jenen zuzuschreiben, die die Schutzmaßnahmen nicht eingeleitet oder verhindert haben. Mir erscheint dabei die Grenze zur „Fahrlässigen Tötung“ mehr und mehr schleierhaft. „Wir werden einander viel zu verzeihen haben“ hieß es zu Beginn der Pandemie – bei dieser Ministerin und den Handlungen ihres Ministeriums komme ich dabei mehr und mehr an meine Grenzen!
IV) Kann es kaum noch ertragen
Es ist unglaublich, mit welcher Missachtung von Expertenkenntnissen, mit wie großer Ignoranz, mit wie wenig Anerkenntnis von Realitäten und mit wie großer selbstgefälliger Ahnungslosigkeit wir „regiert“ werden – auch hierauf legt die Pandemie schmerzlich eine Lupe.
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Am 27.11.21 erschien in der Süddeutsche Zeitung ein Artikel über dieses Thema mit dem Titel „Wir fallen immer weiter zurück“, in dem vier Kolleg*innen aus verschiedenen Bundesländern und Schulformen die Situation an ihrer Schule beschreiben.
Dabei ist Carsten Piechnik. Der Artikel kann hier heruntergeladen werden.