Neuigkeiten 19.05.2019

Dorothea Schäfer und Maike Finnern im Interview mit WAZ-Redakteuren

Der Artikel zum Interview erschien am 19.05.2019 in der WAZ mit dem Titel „GEW: Landesregierung investiert zu wenig in die Bildung".

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GEW: Landesregierung investiert zu wenig in die Bildung

Die scheidende GEW-Vorsitzende Dorothea Schäfer und ihre Nachfolgerin Maike Finnern posieren am 15.5.2019 in Essen.

Essen.   NRW sei Schlusslicht bei Ausgaben für Schüler und Studenten, kritisiert die Bildungsgewerkschaft und fordert das Land zu mehr Investitionen auf.
Lehrermangel, Sanierungsstau, Inklusion, gestiegene Arbeitsbelastung, Besoldung – die Herausforderungen für die Schulen in NRW sind in den letzten Jahren noch gewachsen, bilanziert die NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Dorothea Schäfer (64), im Gespräch mit dieser Redaktion. Die größte Bildungsgewerkschaft in NRW fordert die schwarz-gelbe Landesregierung daher auf, die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in Schulen, Kitas und Hochschulen deutlich zu verbessern.

Auf dem Gewerkschaftstag unter dem Motto „Vielfalt bereichert!“ vom 23. bis 25. Mai in der Messe Essen wird die langjährige Vorsitzende verabschiedet. Ihre bisherige Stellvertreterin Maike Finnern (50) stellt sich als Nachfolgerin den 450 Delegierten zur Wahl. Christopher Onkelbach und Matthias Korfmann sprachen vorab mit den Gewerkschafterinnen über die Baustellen in der NRW-Bildungspolitik.

Frau Schäfer, welche Bilanz ziehen Sie nach neun Jahren an der Spitze der GEW in NRW?

Dorothea Schäfer: Wir haben durchaus etwas erreicht, aber vor allem in der Tarifpolitik muss man dicke Bretter bohren. Seit Jahren kämpfen wir für eine Angleichung der Besoldung von angestellten Lehrkräften mit verbeamteten Lehrern. Bei einer höheren Besoldung für Grundschullehrer und Sek-I-Lehrkräften gibt es nun erste positive Signale der Landesregierung.

Wann erwarten Sie eine Entscheidung?

Schäfer: Wir erwarten, dass dies noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt wird. Denn es ist ungerecht, dass trotz gleich langer Ausbildung je nach Schulform unterschiedlich bezahlt wird. Aber beschlossen ist leider noch nichts. In vielen anderen Bundesländern gilt bereits eine gleiche Besoldung. Das könnte auch das Grundschullehramt für Männer attraktiver machen. Gut 94 Prozent der Lehrkräfte sind hier weiblich.

Frau Finnern, mit welchem Schwerpunkt möchten Sie die Aufgabe als GEW-Vorsitzende ausüben?

Maike Finnern: Es gibt viele Herausforderungen in der Bildungspolitik. Die Arbeitsbelastung ist stetig größer geworden. Die Beschäftigten werden mit immer mehr Aufgaben allein gelassen. Von der Sprachförderung in der Kita, Elternarbeit, Schulentwicklung, Organisation bis hin zur Inklusion. Was die Schulen zur Entlastung brauchen, sind neben mehr Lehrern auch Schulverwaltungsassistenten, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen. Und an den Hochschulen in NRW haben immer noch neun von zehn Beschäftigte nur befristete Verträge.

Wo wollen Sie ansetzen?

Finnern: Wir brauchen mehr Geld im Bildungssektor, um vernünftige Arbeitsbedingungen zu schaffen. NRW ist im Ländervergleich bundesweit das Schlusslicht. Nach einer neuen amtlichen Statistik gab NRW im Jahr 2015 pro Schüler 6000 Euro aus. Kein Land investierte weniger in seine Schüler. Baden-Württemberg gibt 6800 Euro pro Schüler aus, Bayern 7800, Thüringen sogar 8300 Euro. Auch bei der Betreuungsrelation an den Universitäten zwischen Professoren und Studierenden ist NRW mit eins zu 91 am Ende der Tabelle.

Aber das Land investierte kräftig in Bildung, schuf Tausende neue Stellen. Reicht das nicht?

Finnern: Es ist ja richtig, dass die Landesregierung zum Beispiel mit der Reform des Kinderbildungsgesetzes, Kibiz, 1,3 Milliarden Euro pro Jahr investiert. Doch mit Blick auf die Schuldenbremse 2020 werden weitere Ausgaben schwierig. Schon verweist das Land auf die neueste Steuerschätzung, die sinkende Einnahmen prognostiziert.

Was wollen Sie mit dem Motto „Vielfalt bereichert!“ aussagen?

Schäfer: Wir sind sehr in Sorge über die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, über die zunehmende Ausgrenzung von Menschen mit anderer Nationalität, anderer Religion oder Weltanschauung. Das Prinzip Vielfalt bereichert gilt gerade auch für Schule und Bildung. Wir wollen, dass alle Kinder und Jugendliche gleiche Voraussetzungen haben und lehnen deshalb die frühe Sortierung in Schubladen ab.

Sie fordern immer noch die Einheitsschule?

Schäfer: Das ist ein alter Kampfbegriff. Wir wollen eine Schule für alle, wo die Kinder länger gemeinsam lernen. Die Bildungswege sollten so lange wie mögliche offen gehalten werden, um Kindern eine Chance auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Talente zu geben. Es gibt Kinder, da platzt der Knoten eben später.
Finnern: Man muss den Selektionsdruck rausnehmen. Das beginnt ja schon in der Grundschule mit der Empfehlung für eine weiterführende Schulform.

Wollen Sie also die Gymnasien abschaffen?

Schäfer: Nein, aber Eltern entscheiden sich zunehmend für eine Schulform, die den höchsten Abschluss anbietet. Ein erster Schritt könnte sein, dass man Abschulungen in andere Schulformen verhindert und stattdessen eine Kultur des Behaltens zu entwickeln. Nach unserer Auffassung läuft die Entwicklung auf ein Zwei-Säulen-Modell mit Gymnasien und Gesamtschulen hinaus. Im Moment gleicht die Schullandschaft in NRW einem Flickenteppich mit 24 Varianten

Sie fordern mehr Chancengerechtigkeit – ist der Modellversuch Talentschulen der Landesregierung ein Schritt in diese Richtung?

Schäfer: Ich gönne den ausgewählten Talentschulen die bessere Ausstattung, aber das löst das Problem in der Breite nicht. Wir kennen aus vielen Studien die Defizite, dazu benötigen wir keinen neuen sechsjährigen Schulversuch. Am Ende werden es 60 Talentschulen sein, doch wir haben 1000 Schulen, die in einer schwierigen Lage sind. Es wäre zielführender, allen etwas mehr zu geben, zehn 10 Prozent mehr Personal für diese Schulen.
Finnern: Mit dem Versuch schickt die Landesregierung Schulen in einen Wettbewerb um Ressourcen, die ihnen ohnehin zustehen müssten. Wir fordern von der Landesregierung einen Plan, wie sie die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft ablösen will. Da muss man bereits in der Kita ansetzen. Mit 60 Talentschulen geht das jedenfalls nicht.

Welches Signal soll von dem Gewerkschaftstag nächste Woche ausgehen?

Finnern: Der Titel „Vielfalt bereichert“ ist Programm. Wir wünschen uns, dass die Landesregierung konsequenter gegen die Spaltung der Gesellschaft vorgeht.